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Menschvadder, ist das Diebstahl?

Grenzen in der Familie sollten nicht beliebig dehnbar sein. Sie müssen spürbar und klar kommuniziert werden – vor allem, wenn es um die persönlichen Grenzen geht. Die gute Nachricht ist: Mit der Zeit lernen Familienmitglieder, sich einander anzunähern und die individuellen Grenzen zu respektieren. Zumindest sollte es so sein.

In meiner Erfahrung war das jedoch ein längerer Lernprozess. Es hat viel Zeit gebraucht, bis ich meine Grenzen meinem Kind gegenüber in einer persönlichen Sprache ausdrücken konnte: „Ich möchte nicht, weil…“, „Ich ärgere mich, weil…“, „Das macht mich wütend, weil…“. Doch allein bei den Worten blieb es nicht. Entscheidend war auch, wie ich sie sagte. Die Art der Kommunikation bestimmte maßgeblich, welche Botschaft tatsächlich ankam. Meine Erwartungen leiteten sich stark aus meinen eigenen Erfahrungen ab – vieles erschien mir logisch, selbstverständlich, geradezu unausweichlich. Doch mein Kind sah die Welt mit anderen Augen. Selbst einfache Dinge mussten wieder und wieder geübt werden. Manchmal gelang der Durchbruch, manchmal schien alles nach kurzer Zeit wieder vergessen.

Ein Beispiel: Für meinen Großen war es irgendwann selbstverständlich, dass Geld aus meinem Geldbeutel auch sein Geld war. Widerspruch beim Einkaufen wurde nicht akzeptiert. Lag der Geldbeutel offen, bediente er sich schon mal selbst. Mit vier Jahren war das fast noch niedlich – mit elf Jahren hatte es ein anderes Gewicht. Die Enttäuschung darüber wuchs in mir und war kaum auszuhalten. Nach mehreren Vorfällen sprach ich schließlich Konsequenzen aus, die über Wochen anhielten. Doch ich merkte: Strafen allein reichten nicht. Entscheidend war, gleichzeitig seine Bedürfnisse im Blick zu behalten. Ihm Freiheiten zuzugestehen, ohne ihn zu verwöhnen oder alles selbstverständlich vor die Füße zu legen. So begann ich, ihm Möglichkeiten zu geben, sich eigenes Geld zu verdienen – zuerst mit Pfandflaschen, später durch feste Aufgaben im Haushalt: Spülmaschine ausräumen, Altpapier wegbringen. Weil diese Arbeiten regelmäßig anfielen, konnte er sich tatsächlich etwas ansparen. Erst diese Mischung aus Konsequenz und Fürsorge führte dazu, dass sich Einsicht bei ihm einstellte.

Besonders schwer war es, mit der schieren Menge an Vorfällen umzugehen – den kleinen und großen Dingen, die sich im Alltag ansammeln und Frust auf beiden Seiten erzeugen. Diesen Frust immer wieder abzubauen, verlangt eine Gnade, die letztlich jeder von uns braucht. Für mich ist genau das Führung: nicht ständige Kontrolle, sondern ein Balancieren zwischen Klarheit und Barmherzigkeit. Es ist die Art von Halt, die Kinder brauchen.

Am Ende bleibt für mich eine zentrale Botschaft: Vertraue auf die Liebe zu deinem Kind. Sie ist größer als jede Enttäuschung, stärker als jeder Konflikt. Aus diesem Vertrauen heraus lassen sich selbst miese Situationen überwinden. Dann können weder schlechte Körperhygiene, noch stinkende Socken oder verschwundenes Kleingeld die Beziehung ernsthaft erschüttern. Sei gnädig – mit deinem Kind, aber auch mit dir selbst.

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